Gastkommentar im Falter (Sebastian Frese)

Gastkommentar: Feuilleton, FALTER 24/2024 vom 11.06.2024
Sebastian Frese
Erleichterung machte sich in der Szene der freischaffenden Orchestermusiker in Wien breit, als Ende Mai im Falter ein Artikel über sie erschien. Die niedrigen Gagen und die schlechte soziale Absicherung dieser scheinbar marginalen Berufsgruppe öffentlich zu thematisieren war überfällig. Abgesehen von seiner gesellschaftlichen Bedeutung ist das Musikleben ein Wirtschaftsfaktor, der weit über den Bereich der unmittelbar Beteiligten hinaus wirkt. Eine kürzlich erschienene Studie über die „Wertschöpfung der Musikwirtschaft in Österreich 2024“ spricht gar davon, dass diese mit 2,8 Prozent des BIP und 7,5 Milliarden Euro Wertschöpfung die drittstärkste Branche des Landes sei. Dies umfasst freilich alles von den Zillertaler Schürzenjägern bis zu den Wiener Philharmonikern, vom Jazzkeller bis zum Filmmusikstudio.
Der Beitrag der klassisch ausgebildeten Freelancer sollte dabei aber nicht unterschätzt werden. Diese bilden unter anderem das künstlerische Rückgrat privater und nur wenig subventionierter Klangkörper, wie des Wiener Kammerorchesters oder der Originalklang-Ensembles Concentus Musicus und Orchester Wiener Akademie, allesamt international angesehene Stützen des Wiener Konzertlebens.

Auch eines der renommiertesten Häuser profitiert von der Arbeit der freien Musiker. So tragen etwa die Mieteinnahmen, die der Musikverein aus den vielen touristischen Konzerten des Wiener Mozart Orchesters und der SchlossCapelle  lukriert, maßgeblich zur Finanzierung der teuren Gastspiele der großen internationalen Orchester bei. Die Entwicklung seit Beginn des neuen Jahrtausends ist ein Lehrbeispiel dafür, was geschieht, wenn eine hochqualifizierte – das Instrumentalstudium ist aufwendig und nur nach einem anspruchsvollen Zulassungsverfahren zugänglich –, jedoch wirtschaftlich oft recht naive und arbeitsrechtlich ungeschützte „Workforce“ auf einen unregulierten neuen Arbeitsmarkt trifft. Regelten sich die Dinge lange Zeit unter dem Motto „Leben und leben lassen“ weitgehend zur allseitigen Zufriedenheit selbst, erodierte das gegenseitige Vertrauensverhältnis mit der Zeit. Den Arbeitgebern standen keine arbeitsrechtlich geschützten Verhandlungspartner gegenüber, die die Interessen der Musiker hätten vertreten
können. Die Schere zwischen den Gewinnen vieler Unternehmen und den Einkommen ihrer freien Arbeitnehmer öffnete sich so weit, dass die Gagen der freien Szene heute inflationsbereinigt gegenüber den um die Jahrtausendwende üblichen Standards bis zu 50 Prozent ihrer Kaufkraft verloren haben, was in der Folge auch in geringeren
Sozialversicherungsbeiträgen resultiert. Dies wird für die Einzahlenden spätestens bei Pensionsantritt zum Problem. Altersarmut unter ehemaligen Freelancern ist programmiert.

Setzt sich die Entwicklung fort, wird dies zu einer Entprofessionalisierung der Branche führen, und für die freien Musikschaffenden wird der Beruf zum Hobby gemacht. Es ist dringend geboten, Möglichkeiten zu finden, deren Lage zu verbessern. Die Idee einer Honorarempfehlung, ausgehend vom untersten Brutto-Dienstwert eines mittleren
Landesorchesters, ausgearbeitet von der Interessengemeinschaft Freie Musikschaffende (IGFM), ist ein guter Ansatz für den Bereich der Substitutengagen – Substituten springen in Berufsorchestern ein, wenn ein fix engagiertes Mitglied nicht spielen kann – und wichtige Diskussionsgrundlage. Diese Beträge bindend für den gesamten freien Markt zu machen, würde jedoch zu einer Form der Marktbereinigung führen, die nicht im Sinne der großen Mehrheit der
Freischaffenden sein kann. Die privaten Betreiber müssen zu einer fairen Bezahlung unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen gebracht werden. Große Player haben da andere Möglichkeiten als kleine Veranstalter. So hat beispielsweise ein Orchester, das jahrein, jahraus mehr oder weniger idente Programme für ein touristisches Publikum spielt, einen weitaus geringeren Probenaufwand als Ensembles, die im regulären Konzertbetrieb
ständig wechselnde Stücke für meist nur ein oder zwei Konzerte einstudieren. Auch für diese müssen jedoch selbstverständlich gewisse Mindeststandards gelten.

Die Zeit, die Diskussion um angemessene Entlohnung endlich zu führen, ist überreif, auch angesichts mancher durch Steuergelder mitfinanzierter Sommerfestivals, die – gerne von Landeshauptleuten medienwirksam eröffnet – ihre oft aus Osteuropa herangekarrten Künstler mit unwürdigen Dumpinggagen abspeisen.

Der Falter-Bericht sollte als Weckruf verstanden werden: für die Veranstalter, sich von den schwarzen Schafen der Branche abzugrenzen und ihre künstlerischen Mitarbeiter wieder als essenzielle Grundlage ihres Geschäfts wahrzunehmen und entsprechend zu behandeln; für die Politik, genau hinzusehen, unter welchen Bedingungen
manche mit Steuergeld subventionierte Kulturveranstaltungen im Land zustande kommen, und endlich Mindeststandards festzulegen.

Und schließlich für die Künstlerinnen und Künstler, sich auf ihren Wert und ihre Würde zu besinnen und ihr Einzelkämpfertum zu überdenken. Will man ernst genommen werden und Willkür entgegentreten, braucht es eine starke gemeinsame Vertretung. Die Strukturen dafür existieren, sei es die IGFM, die Musikergilde oder die Gewerkschaft Younion. Diese Gruppen müssen aber durch substanzielle Mitgliederzahlen gestärkt werden. Es ist hoch an der Zeit,
dass die Branche erwachsen wird und die Beteiligten auf Basis gegenseitigen Respekts einen Dialog auf Augenhöhe suchen, um endlich gemeinsam faire Bedingungen zu schaffen.

Sebastian Frese lebt und arbeitet als freiberuflicher Oboist in Wien.